"Nun
kann niemand mehr sagen, was geht Dich das an?"
So titelte
die türkische Zeitung Milliyet in einer Schlagzeile am Tag
nach der Unterzeichnung der Abschlußresultion des OSZE -
Gipfels in Istanbul. Damit wurde eine Aussage des amtierenden
Staatspräsidenten der Türkischen Republik, Süleyman
Demirel zitiert, die er nach Bekanntwerden der Abschlußresolution
gegenüber der Presse geäußert haben soll. Es meint
die Formel, dass sich kein Mitgliedstaat der OSZE gegenüber
den anderen Mitgliedstaaten mehr auf die Formel "Keine Duldung
von Einmischung in innere Angelegenheiten" zurückziehen
kann, wenn auf seinem Boden Verletzungen des Völkerrechts
und der Menschenrechte geschehen und diese international in Kritik
geraten. Diese Aussage zielt nachträglich auf die internationale
Vorgehensweise im Kosovoproblem und den aktuellen Entwicklungen
in der Kaukasusrepublik Tschetschenien ab. Doch wie verhält
es sich im Fall des Nato- und OSZE-Mitgliedes Türkei?
Noch immer ist die kurdische Frage ungelöst, weshalb allein
in den letzten 15 Jahren des türkisch-kurdischen Konflikts
mehr als 40.000 Menschen Ihr Leben verloren haben. Immer noch
hat sich die Menschenrechtssituation in der Türkei nicht
grundlegend geändert. Immer noch sind Repression und Vertreibung
traurige Realität. Und auch weiterhin bleibt die offene Meinungsäußerung
ein teuerer Luxus, der unter Umständen mit hohen Haftstrafen
bezahlt werden muß. Sind das nicht auch Probleme, die das
Engagement der internationalen Staatengemeinschaft erfordern?
Selbst Süleyman Demirel hat das mit seiner Aussage indirekt
bestätigt.
Dies Teil eines Prozesses, der mit der Verhaftung des Vorsitzenden
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, seinen
Anfang nahm. Nach ersten Irritationen in weiten Teilen der Weltöffentlichkeit
über die Ausführungen Öcalans im Prozeß auf
Imrali scheint die Zustimmung zu seinen Lösungsvorschlägen
für die kurdische Frage international zu wachsen. Mehrmals
betonte er den Willen zu einer friedlichen und demokratischen
Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts. Mit der Einstellung
des militärischen Kampfes und dem Rückzug ihrer bewaffneten
Kräfte vom Staatsgebiet der Türkei vollzog die PKK einen
wichtigen Schritt hin zu einer zivilen Konfliktlösung und
signalisierte ihre volle Unterstützung zu dem von Öcalan
geforderten strategischen Wandel. Immer mehr bestimmen Diskussionen
über eine umfassende Demokratisierung der Türkischen
Republik das politische Leben der Türkei.
Am 25. November wird der oberste Kassationsgerichtshof der Türkei
über den Fall Öcalan endgültig entscheiden. Es
steht zu befürchten, dass das ausgesprochene Todesurteil
bestätigt wird. Dies würde jedoch den sich abzeichnenden
Friedensprozess massiv beeinträchtigen. Die internationale
Staatengemeinschaft ist gefordert, alles zu tun, um eine friedliche
und politische Lösung zu ermöglichen. In ihren Bemühungen
um Aufnahme in die Europäische Union ist sich die Türkei
der Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung durchaus
bewußt.
Es liegt nun besonders an der Europäischen Union, darauf
einzuwirken, dass den Lippenbekenntnissen endlich Taten folgen.
Ein nachdrücklicher Einsatz für die Aufhebung der Todesstrafe
und die Schaffung allgemeiner demokratischer Standards in der
Türkei entspricht den dringendsten an die internationale
Staatengemeinschaft gerichteten humanitären Erwartungen.
Denn auch sie muß sich an den Maßstäben messen
lassen, die sie selbst definiert und zu deren Einhaltung sie sich
verpflichtet hat.
Nein
zur Todesstrafe - Frieden jetzt!