Internationale Initiative
Freiheit für Ocalan – Frieden in Kurdistan
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15. Februar 2011

Öcalan ante portas oder Die Waffe des Dialogs

Erklärung der Internationalen Initiative zum 12. Jahrestag der illegalen Verschleppung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999

Wer hätte gedacht, in den bewegten Tagen nach dem 15. Februar 1999, als der Kurdenführer Abdullah Öcalan völkerrechtswidrig von Kenia in die Türkei verschleppt wurde – ‬unter maßgeblicher Beteiligung von CIA,‭ ‬MIT und Mossad,‭ ‬mit der Unterstützung Russlands,‭ ‬Griechenlands und anderer europäischer Staaten – dass sich einmal ein türkischer Ministerpräsident wie Recep Tayyip Erdogan gezwungen sieht zu bestätigen, dass staatliche Stellen mit dem »Staatsfeind Nr. 1« ernsthafte Gespräche über die Beilegung des Jahrzehnte währenden türkisch-kurdischen Konflikts führen.

Öcalan ante portas! – Die Einheit des türkischen Staates sei in Gefahr, hieß es immer wieder, die Verantwortlichen in Ankara ließen nichts unversucht, um Abdullah Öcalan politisch mundtot zu machen. Ob verschärfte Isolationshaft, Repression gegenüber seinen Rechtsanwälten oder Angriffe auf seine körperliche Unversehrtheit – allen staatlichen Anstrengungen zum Trotz setzte sich notgedrungen die Einsicht durch, dass, wenn überhaupt, eine Lösung nur mit Öcalan und nicht gegen ihn möglich ist. Daran ist der Kurdenführer nicht unschuldig. Statt auf Konfrontation setzte er auf Ausgleich; beharrlich forderte er den Dialog ein. Seine Vision von einer Lösung der kurdischen Frage innerhalb der bestehenden territorialen Grenzen der Türkei, auf dem Wege eines radikalen demokratischen Umbaus des Landes, ist nicht nur für Kurden attraktiv.

Noch dringt nichts wirklich Substanzielles aus den Gesprächen an die Öffentlichkeit. Doch die Positionen der Seiten sind klar. Für die türkische Seite gilt es, die kurdische Guerilla aus den Bergen zu holen, ohne wirklich etwas anzubieten. Kurdische Emanzipationsbestrebungen sollen, wenn überhaupt, im Rahmen von individuellen Rechten befriedigt werden. Forderungen nach Autonomie oder weitergehenden sprachlichen Rechten werden eine Absage erteilt. Die kurdische Seite sieht hingegen nur in einer neuen Verfassung, die die kulturellen, sprachlichen und politischen Rechte der Kurden garantiert, den Garanten für eine nachhaltige Lösung. Die Aussöhnung der Gesellschaft soll über eine Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen mit Hilfe von Wahrheitskommissionen gelingen – ähnlich denen in Südafrika.

Es ist offensichtlich, dass die Positionen der Konfliktparteien noch sehr weit auseinander liegen. Doch das Tabu ist gebrochen – aus Feinden sind Gegner geworden, die mehr oder minder dem Wort den Vorzug geben. Die von der kurdischen Guerilla einseitig erklärte einjährige Feuerpause begleitet den Annäherungsprozess.

Dabei bleibt die Rolle der islamistisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) zwiespältig. An einer wirklichen Lösung des Konflikts scheint ihr nicht gelegen. Von ihrer viel gepriesenen »kurdischen Öffnung« ist nichts geblieben als Makulatur. Aber auch hinsichtlich anderer politischen Fragen strebt sie nach der Ausweitung ihrer Macht, anstatt sich um nachhaltige Lösungen zu bemühen. Ihr immer autokratischer werdender Regierungsstil verheißt nichts Gutes.

Immer noch ist die Menschrechtslage katastrophal, systematische Folter weit verbreitet und sind extralegale Hinrichtungen in den kurdischen Gebieten ein probates Mittel staatlicher Repression. Ob Gewerkschaften, gesellschaftliche Minderheiten oder oppositionelle Bestrebungen auf der Straße – immer wieder kommt es zu massiven Gewalteinsätzen der Polizei. Der Türkei gelang es sogar Russland zu überholen – kein Land bringt es derzeit auf mehr Verurteilungen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Während sich in der Türkei immer mehr Unmut über das selbstherrliche Auftreten von Erdogan breit macht, werden dieser und seine AKP von den westlichen Staaten hofiert. Aufgeschreckt von dem arabischen Erwachen und der Dikatorendämmerung in den arabischen Staaten, wird die Türkei als beispielhaftes Alternativmodell für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie gepriesen. Ob dies mit der Realität in der Türkei und der Region übereinstimmt, spielt keine wesentliche Rolle. Menschenrechtsverletzungen werden relativiert, die kurdische Frage erst gar nicht erwähnt und ein prosperierendes Wirtschaftswachstum gelobt, die dafür verantwortlichen alljährlichen milliardenschweren Kredite des IWF hingegen verschwiegen. Gefangen in einem strategischen Wunschdenken versuchen die westlichen Staaten, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Den konservativen religiösen Kräften in der Türkei, die verstohlen auf die iranische Gesellschaftsordnung schielen, freut es.

Der angestrebte demokratische Wandlungsprozess in der Türkei, begleitet von zivilgesellschaftlichen Initiativen, darf nur im geringen Maße auf substanzielle Unterstützung aus dem Ausland hoffen. Dies gilt im gleichen Maße für die kurdische Frage. Eine Lösung ist deshalb nur in der Türkei möglich.

Die Haltung der AKP in dieser Frage ist offensichtlich von einer Hinhaltetaktik bestimmt. Das Schweigen der Waffen bis zu den Parlamentswahlen im Juni 2011 kommt ihr zupass, mögliche Schritte werden auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Demgegenüber hat Abdullah Öcalan den Druck erhöht: Ohne die Einrichtung einer Wahrheitskommission im Rahmen der türkischen Nationalversammlung sehe er sich außerstande, seine Rolle als Mittler zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und dem türkischen Staat auszufüllen.

Ein möglicher Friedensprozess bedarf jedoch seines konstruktiven Wirkens, für das ihm mehr Raum eingeräumt werden muss.

Deshalb unterstützt die Internationale Initiative »Freiheit für Abdullah Öcalan — Frieden in Kurdistan« die Forderung nach einer Umwandlung der Isolationshaft in einen Hausarrest, in der ihm eine größere Teilhabe am politischen Prozess möglich ist. Die Chance auf einen Frieden darf nicht vertan werden – sie bedarf der Unterstützung aller Kräfte, die für einen umfassenden demokratischen Wandel in der Türkei und der Region eintreten. Der Dialog muss fortgesetzt werden – die einzige Waffe, die etwas aufzubauen vermag.