Die EU und die
Türkei aus Sicht der Kurden
Internationale
Initiative
Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan
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INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
DIE EU und die Türkei aus Sicht der Kurden
Die Entscheidung
der Europäischen Union darüber, ob die Türkei einen
Termin für Beitrittsverhandlungen erhält, wird für
Dezember erwartet. Seit dem 6. Februar 2002 hat die Türkei
eine Reihe von Gesetzreformen unternommen, deren Umsetzung jedoch
bislang weitgehend nicht vollzogen wurde. Bezüglich der kurdischen
Frage, die das Hauptproblem der Türkei und der Region darstellt,
wurden außer einigen kosmetischen Verbesserungen keine konkreten
Schritte unternommen. Die Kurden haben den Beitritt der Türkei
zur EU ebenfalls unterstützt, wenngleich es immer noch die
benannten Probleme gibt, die angegangen werden müssen.
Der Bericht des Europäischen Parlamentes unter Federführung
von Herrn Oostlander vom 5. November 2003 macht deutlich, dass die
Türkei die notwendigen Veränderungen nicht in angemessener
Weise durchführt. Leider finden diese Mängel im überwiegenden
Teil der Medien keinen Widerhall. Die Kurdische Frage wird von der
türkischen Regierung als Sicherheitsproblem behandelt, während
sie in Wirklichkeit eine Frage politischer, sozialer und kultureller
Rechte ist. Tatsächlich braucht die Türkei dringend echte
Veränderungen. Dabei ist es wichtig sicherzustellen, dass es
sich um echte Veränderungen und nicht lediglich um Veränderungen
verbaler Natur handelt. Die größten Hindernisse auf dem
Weg der Türkei zu Reformen und damit in die EU, sind die kurdische
Frage und die Notwendigkeit der Demokratisierung. Diese beiden Elemente
sind voneinander untrennbar.
Ein Vergleich wäre angebracht um die Dimension und Wichtigkeit
des Problems zu verdeutlichen. Im Endeffekt werden nicht nur die
Türken der EU beitreten, sondern mit ihr zusammen etwa 20 Mio.
Kurden. Die Bevölkerungszahl von 19 EU-Mitgliedsstaaten der
EU liegt unter 20 Mio. Wie will die Türkei den Weg zur EU voranschreiten,
wenn sie die Identitäts-, politischen-, kulturellen- und sozialen
Probleme einer so großen Bevölkerungsgruppe ungelöst
lässt? Kann die EU die Türkei auf diese Weise akzeptieren?
Bedeutet die Aufnahme der Türkei mit der ungelösten kurdischen
Frage nicht auch die Aufnahme einer historischen Frage in die Union?
Die Notwendigkeit einer Lösung der Kurdischen Frage ist wiederholt
zum Ausdruck gebracht worden. Angefangen im Jahre 1992, als das
Europäische Parlament anerkannte, dass den Kurden Rechte zustehen,
bis zum EU-Bericht von 1998, in dem die Notwendigkeit einer friedlichen
Lösung formell anerkannt wurde. Trotzdem wird weiterhin an
der Politik der Lösungslosigkeit festgehalten.
Fragen
der Reformen und Veränderungen
Die Freilassung
der vier DEP-Abgeordneten ist eine positive Entwicklung, die dennoch
nicht ausreicht. Denn noch immer befinden sich Tausende von kurdischen
Politikern im Gefängnis. Zerstörte und gewaltsam geräumte
Dörfer in der Region wurden nicht wiederaufgebaut, ihre Bewohner
durften nicht in ihre Häuser zurückkehren. Das System
der „Dorfschützer“ mit seinen offiziell 58.551
Mitgliedern wurde nicht abgeschafft. Der Weg für einen friedlichen
Dialog mit kurdischen Vertretern ist weiterhin blockiert. Zudem
bleibt die kurdische Identität immer noch nicht-existent in
grundlegenden Bereichen staatlichen Rechts.
Bestimmungen der Europäischen Konvention hinsichtlich Menschenwürde,
Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Respektierung
der Menschenrechte sollten in der Türkei ebenso gelten und
von ihr eingefordert werden wie in jedem anderen Staat der Union.
Wir erwarten keine Lösung der kurdischen Frage von Zauberhand.
Allerdings erwarten wir gegenseitigen Respekt, guten Willen, Kooperation
und eine Garantie unserer kurdischen Identität durch die Verfassung.
Wenn auf diese Weise Ernsthaftigkeit gezeigt wird, lässt sich
eine machbare und dauerhafte Lösung erreichen.
Trotz aller Hindernisse beharren die Kurden auf einer friedlichen
Lösung und haben dies in vielfältiger Weise verdeutlicht,
insbesondere auch während der vergangenen fünf Jahre,
als sie einseitig Waffenstillstände ausriefen und Strategien
dafür entwickelten, wie die kurdische Frage auf demokratisch-friedlichem
Wege lösbar wäre. Die Kurden wollen ihre offizielle Anerkennung
und eine Garantie all ihrer Rechte. Sie wollen einfach nur ihre
Rechte ausüben in Bezug auf Sprache, Kultur und Politik.
Viele Mitgliedsstaaten der EU haben ähnliche Probleme wie die
Türkei. In Spanien, Belgien und Britannien konnten jedoch auf
dem Wege des friedlichen Dialogs echte Fortschritte erzielt werden.
Warum sollte das mit den Kurden anders sein? Kann nicht auch hier
eine Lösung auf dem Wege des friedlichen Dialogs gefunden werden?
Bei genauerer Betrachtung des Problems wird deutlich, dass es im
Kern um Folgendes geht:
Im Hinblick
auf eine dauerhafte Lösung der kurdischen Frage und eine Demokratisierung
der Türkei muss die kurdische Identität in vollem Umfang
anerkannt werden. Alle Behinderungen für kurdische politische
Organisationen müssen eingestellt werden. Diese Organisationen
sollten in ihrer Arbeit völlig frei sein. Es muss akzeptiert
werden, dass die Lösung auf dem Wege des Dialoges gefunden
werden kann und nicht auf dem Wege einer militärischen Lösung.
Wir hegen ernsthafte Zweifel, was die Absichten der türkischen
Regierung angeht, die europäischen Standards im Hinblick auf
die Rechte der Kurden zu akzeptieren. Klar ist, dass die Türkei
versucht, ihre eigene Interpretation der Kopenhagener Kriterien
durchzusetzen. Die kurzfristigen und langfristigen Ziele des Partenaria-Dokuments,
das vom Europäischen Rat am 8.November 2000 veröffentlicht
wurde, sind ebenfalls Gegenstand dieser revidierten Interpretation.
Das
Hauptproblem
Wir möchten
die EU auf die Risiken aufmerksam machen, die mit einer Schwächung
der Bedeutung der Kurdischen Frage und der Demokratie in der Türkei
verbunden sind:
Im rechtlichen Bereich besitzt die Türkei ein Arsenal an Vorschriften,
das alle Arten von Opposition im Land verbietet. Es gibt mehr als
750 Verbotsparagrafen im türkischen Recht, gerade auch im Hinblick
auf die Redefreiheit, die Bildung von Vereinigungen, Erziehung und
Ausbildung und Veröffentlichungen im Zusammenhang mit der Kurdischen
Frage.
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verwendet weiterhin
den Ausdruck „Null-Toleranz“ zur Beschreibung der Menschenrechtspolitik
seiner Regierung im Hinblick auf Missbrauch und Folter. Allerdings
besteht die tatsächliche Politik eher darin, solchen Missbrauch
zu tolerieren, was auch neuerlich wieder durch die Berichte bekannter
Menschenrechtsvereinigungen bestätigt worden ist.
Die Türkei versäumt es, internationale Vereinbarungen
in dieser Richtung zu unterzeichnen. So hat sie beispielsweise die
UN-Vereinbarung über gesellschaftliche Rechte und andere internationale
Vereinbarungen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte unterzeichnet. Sie weigert sich jedoch, ihre Gesetze im Hinblick
auf Minderheitenrechte und Erziehung zu ändern.
1. Die Politik der Leugnung einer kurdischen Identität setzt
sich in der Türkei fort.
2. Kulturelle Pluralität wird immer noch völlig abgelehnt;
die Freiheit kulturellen Ausdrucks sowie Rechte für nicht-türkische
Sprach- und Volksgruppen sind immer noch nicht gegeben.
3. Immer noch werden repressive rechtliche Maßnahmen eingesetzt
in allen Fällen, in denen es um die Freiheit des Ausdrucks
und der Organisierung geht.
4. Die Fortsetzung der Beschränkungen für die kurdische
Sprache in allen Medien und im Bildungssystem hat es der Türkei
erlaubt, ihre Assimilationspolitik für die Kurden weiter zu
beschleunigen. Dieser Umstand macht es sehr schwierig, wenn nicht
unmöglich, sich die Unterstützung aus Hilfsprogrammen
der EU, wie z.B. MEDA, zunutze zu machen.
5. Die Weigerung, das Land zu dezentralisieren.
6. Fortsetzung der wirtschaftlichen Entwicklungspolitik in den westlichen
Landesteilen, in denen überwiegend Türken leben, im Gegensatz
zu den Regionen im Osten in denen Kurden leben. Es ist außerdem
wichtig anzumerken, dass die westlichen Regionen Entscheidungen
treffen, die für den Osten ebenfalls gültig sind, ohne
aber diesen an den Entscheidungen teilhaben zu lassen.
7. Es gibt eine Verweigerungshaltung, wenn es darum geht, die Notwendigkeit
einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage zu akzeptieren
und eine solche zu suchen. Ebenso weigert man sich, einen offenen
Dialog mit kurdischen Vertretern zu beginnen (die bereits zahllose
Versuche in dieser Richtung unternommen haben).
8. Die dominierende Position des türkischen Militärs in
den politischen Angelegenheiten des Landes bleibt unverändert.
9. Druck und Repressionen gegen Journalisten und Intellektuelle
setzen sich fort.
10. Physische und psychologische Folter sind immer noch gängige
Praxis und werden weiterhin in vollem Umfang gegen jede Art von
Opposition gegen die türkische nationalistische Ideologie eingesetzt.
Bedingungen
einer Lösung und kurdische Forderungen
Um dauerhaft
zu Stabilität, Freiheit und Demokratie zu kommen, müssen
folgende Forderungen erfüllt werden.
Diese Kriterien sollten respektiert und dahingehend interpretiert
werden, dass sie den folgenden Vorschlägen für die Suche
nach einer annehmbaren Lösung des Konflikts genügen:
• Damit
die Türkei erfolgreich dauerhaften Frieden und Stabilität
und die Kopenhagener Kriterien in den kurdischen Regionen etablieren
kann, ist ein gemeinsamer Ausschuss von Türkei und EU nötig
– unter Einbeziehung eines Dialoges mit den Kurden.
• Da die Kurden mit zu den Gründern der Türkei gehören,
muss ein sofortiger Plan für eine Lösung der kurdischen
Frage aufgestellt werden.
• Die EU muss aus einer unparteiischen Position heraus die
Suche nach einer Lösung der kurdischen Frage begleiten, indem
sie sich bemüht einen beiderseitigen Waffenstillstand zu erreichen.
Dazu müssen:
1. Militärische Operationen in den kurdischen Gebieten beendet
werden.
2. Der übermäßige militärische Aufbau in den
kurdischen Gebieten müssen verändert werden.
3. Der Ausnahmezustand mitsamt seinen Gesetzen und Institutionen
sowie das „Dorfschützer“ System vollständig
aufgehoben werden.
4. Das „Reuegesetz“, das die Betroffenen erniedrigen
und ihres Charakters und ihrer Menschlichkeit entkleiden soll, ersetzt
werden durch eine allgemeine politische Amnestie, die alle politischen
Gefangenen einschließt, auch Abdullah Öcalan.
5. Resolutionen des EP und des EC bezüglich der Lösung
der kurdischen Frage respektiert und umgesetzt werden.
6.Städte und Dörfer, die von der türkischen Regierung
zerstört wurden, wieder aufgebaut werden; sowie Entschädigungszahlung
an die Zwangsvertriebenen vollzogen werden.
7. Alle Rechte, die für das türkische Volk gelten, auch
für das kurdische Volk gelten.
8. Kurdische Identität, Kultur und Sprache vollständig
offiziell anerkannt werden.
9. Zentren für die Entwicklung von kurdischer Sprache, Kultur,
Geschichte und Musik eingerichtet werden.
10. Die ursprünglichen Namen aller kurdischen geografischen
Regionen, die im Zuge der staatlichen Assimilationspolitik ins Türkische
geändert wurden, wiederhergestellt werden.
11. Das Rechtssystem dahingehend reformiert werden, dass es echten
Pluralismus erlaubt, so dass Kurden und andere nationale Minderheiten
ihre Rechte frei in Anspruch nehmen können.
12. Ein Wirtschafts- und Sozialplan für die Entwicklung der
kurdischen Regionen aufgestellt werden.
13. Die Regierung dezentralisiert werden, um mehr örtliche
Beteiligung zu ermöglichen.
14. Alle Verbote und Behinderungen für kurdische politische
Organisationen sofort aufgehoben werden und ihre freie politische
Betätigung zugelassen werden.
Für die Erreichung einer politischer und demokratischen
Lösung der kurdischen Frage in der Türkei (Kurdische Position)
Um dieses Problem wirksam zu lösen, müssen Türken
und Kurden willens sein, konkrete Schritte auf der Suche nach einer
politischen Lösung zu unternehmen auf dem Wege des offenen
Dialoges. Beide Seiten müssen zum Kompromiss bereit sein.
Um die türkische Regierung hinsichtlich der territorialen Integrität
des Landes zu beruhigen, verpflichten sich die Kurden auf der Grundlage
der Konventionen und Prinzipien der EU, sowie des Europäischen
Rates, die folgenden Prinzipien zu respektieren:
1. Die Kurden werden die territoriale Integrität der Türkei
respektieren.
2. Die Kurden werden, wie sie es bereits früher angekündigt
haben, allen bewaffneten Widerstand beenden, wenn der Weg des Dialoges
eröffnet werden sollte, und den politischen Prozess zur voll
unterstützen. Stattdessen wird der politische Prozess zur Methode
der Lösung politischer Probleme werden.
3. Die Kurden werden sich an die demokratischen Standards und Prinzipien
der EU in rechtlicher, wirtschaftlicher und menschenrechtlicher
Hinsicht halten.
Kommission für Außenbeziehungen
des Kurdistan Volkskongresses
03. 10. 2004
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