Der Fall Öcalan – 5 Jahre Isolationshaft: Lackmustest für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage

Internationale Initiative
Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan
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Köln, 12. Februar 2004

INTERNATIONAL INITIATIVE BRIEFINGS:
Der Fall Öcalan – 5 Jahre Isolationshaft: Lackmustest für eine demokratische Lösung der kurdischen Frage

Der 15. Februar gilt für einen großen Teil der Kurden als schwarzer Tag. Genau an diesem Tag vor fünf Jahren wurde der Kurdenführer Abdullah Öcalan in einer Nacht und Nebelaktion von Kenia in die Türkei verschleppt. Für kurze Zeit schien es, dass der türkisch-kurdische Konflikt eskalieren würde. Selbst die Protagonisten der geheimdienstlichen Ranküne waren von dem Ausmaß der weltweit heftigen kurdischen Proteste überrascht. Vorausgegangen war eine wochenlange Odyssee zwischen Damaskus, Moskau, Athen, Rom und Amsterdam – krimineller Schlusspunkt unter einem völkerrechtswidrigen Piratenakt, unter maßgeblicher Beteiligung des CIA, MIT und Mossad – klägliches Scheitern einer ominösen europäischen Rechtskultur.
Der 15. Februar 1999 war aber auch der Beginn eines neuen Kapitels im türkisch-kurdischen Konflikt. Die Hoffnungen, dass der kurdische Aufstand durch einen fulminanten Enthauptungsschlag zusammenbrechen möge, stellten sich schon nach kurzer Zeit als nichtig heraus. Noch während alle Anzeichen auf eine Eskalation hindeuteten unternahm Abdullah Öcalan den bis dahin für unmöglich gehaltenen Schritt. Trotz der drohenden Hinrichtung bot er seine Hand zum Frieden und rief die kurdischen Rebellen zur einseitigen Beendigung des blutigen Krieges auf. Gleichzeitig verband er dies mit der Forderung nach Anerkennung von kulturellen und sprachlichen Rechten für die Kurden und einer tiefgreifenden Demokratisierung der Türkei. Erst dieses Friedensangebot eröffnete der Türkei die europäische Perspektive, die mit der Zuerkennung des Beitrittskandidatenstatus zur Europäischen Union verbunden ist. Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen ist die vollständige Umsetzung der Kopenhagener Kriterien. Diese sind jedoch die Crux, an der das gesamte Ausmaß des türkischen Dilemmas deutlich wird.

2004 ist für Türken und Kurden gleichermaßen ein richtungweisendes Jahr. Für die Türken, weil im September 2004 über die Nennung eines Termins für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen entschieden wird; für die Kurden, weil sich entscheidet, ob aus den bisherigen Reformen kosmetischer Art eine reale Lösung erwächst. Zwar hat die Türkei Gesetzesänderungen vorgenommen, die den Kurden begrenzte Rechte zugestehen. Die kurdische Frage bleibt jedoch nach wie vor ungelöst. Das bloße Vertrauen auf die Wirksamkeit der Kopenhagener Beitrittskriterien für einen möglichen Demokratisierungsprozess hat sich bisher als nicht ausreichend erwiesen. Immer noch ist die Menschenrechtslage unbefriedigend. Nach wie vor sind systematische Folter und staatliche Repression gegen Oppositionelle an der Tagesordnung. Eine wirkliche Umsetzung der Reformen steht weiterhin aus. Größtes Hindernis für eine wirkliche Demokratisierung sind jedoch die antikurdischen Ressentiments der türkischen Eliten. Sämtliche kurdischen Emanzipationsbestrebungen werden als Angriff auf die nationale Einheit der Türkei begriffen; egal ob im Nord-Irak, in Syrien, im Iran oder in der Türkei. Doch erst wenn die Türkei begreift, dass kulturelle und sprachliche Vielfalt keine Bedrohung, sondern Reichtum darstellen, erst dann können Reformen wirklich greifen. Bis jetzt beschränken sich die türkische Politik und die türkischen Militärs auf die Vermeidung des für sie vermeintlichen Schreckensszenario: Die internationale Anerkennung der Kurden. Hierfür ist man sogar zu weitreichenden Zugeständnissen in der Zypernfrage bereit. Eine solche Politik geht jedoch an dem Wesen einer Problemlösung vorbei. Vielmehr vertieft sie die schon reichlich komplexen Probleme. Eine wirkliche Demokratisierung der Region ist so nur schwerlich möglich, denn ohne die Lösung der kurdischen Frage bleibt dieses Vorhaben Fiktion.

Demgegenüber kommt dem sich zuspitzenden Streit um die menschenunwürdigen Isolationshaftbedingungen des Kurdenführers Öcalan eine besondere Bedeutung zu. Seit fünf Jahren wird er auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali gefangen gehalten. Sein Gesundheitszustand ist stark angegriffen, weshalb er die Verlegung in ein anderes Gefängnis und die Entsendung einer unabhängigen internationalen Ärztekommission fordert. Auch das Antifolterkomitee des Europarates fordert die Aufhebung der Isolationshaftbedingungen. Die Türkei weigert sich jedoch weiterhin dieser Aufforderung nachzukommen. Dies legt den Schluss nahe, dass das 1999 gegen den Kurdenführer verhängte Todesurteil nun auf Raten vollstreckt werden soll, was durch die Aufhebung der Todesstrafe offiziell nicht mehr möglich ist. Das werden die Kurden jedoch nicht hinnehmen. Der Umgang mit Öcalan wird von ihnen als Lackmustest in der kurdischen Frage begriffen, der eine demokratische Lösung nur innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen für möglich hält, in denen sich das Gebiet Kurdistans erstreckt. Auch heute sieht ein Großteil der Kurden Öcalan als einen Garanten für den Frieden. Fakt ist, dass er auch nach fünf Jahren eine wichtige Initialfunktion in der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konfliktes innehat. Deshalb erscheint die Annahme realistisch, dass die Lösung der kurdischen Frage in der Türkei eng mit dem weiteren Schicksal des Kurdenführers verbunden ist. Aus diesem Grunde bedarf es einer aktiveren Rolle der internationalen Öffentlichkeit und Staatengemeinschaft. Die Türkei muss die Isolationshaft von Öcalan aufheben. Die Forderung nach Freilassung von Abdullah Öcalan mag zurzeit wenig realistisch erscheinen und allenfalls im Zuge einer Lösung der kurdischen Frage in der Türkei denkbar sein. Gesunder politischer Verstand mahnt die Aufrechterhaltung dieser Forderung an.

Schluss mit der Totalisolation! Freiheit für Abdullah Öcalan!